STUMPFNOS RENNT
Notierte im Schatten des monumentalen Torbogens meine Gedanken. Ein hochgewachsener, heftig gestikulierender Herr, mit hellem Vollbart und wallendem Haar, schritt geradewegs auf mich zu. Er schien, von zwei kleinen, gelangweilten Provencalen flankiert, um Verständnis zu ringen. Begrüßte den unverkennbar angeheiterten, deutschen Gelehrten in seiner Sprache. Sein geöffnetes weißes Hemd zierten Rotweinflecke. Entgegnete seiner Vorstellung, mir gewiss seinen Namen zu merken, denn ich dächte an den weisen Silenoi am BRUNNen, an die Quelle mit Wein, um ihn fangen zu können. Er stockte, fragte nach einer betretenen Pause nach meinem Alter. Ungezwungen nach meinem Schreibzeug greifend erzählte er, gleichzeitig eine Gestalt skizzierend: Vier Jahre vor meiner Geburt sei in einem Etruskergrab bei Chiusi ein etwa 2400 Jahre alter Volutenkrater gefunden worden. Hätten die Menschen den klugen Fluch dieses Tiermenschen beherzigt mein Herr, dann liefen wir uns heute nicht über den Weg. Hier, junger Mann. Kleitias bin ich keiner. Hier ist jener seltsame Kerl, mit einem Schwert wie Hephaistos Esel dem er folgt. Erfreulicherweise brauchen wir auf diesem gesegneten Landstrich den Wein nicht selbst zu schleppen. Dankte ihm lachend für sein gekonnt hingesetztes Abbild, das ich nicht kannte, und verstaute den Zettel in meiner Brusttasche. Ich sollte noch zum Juliermonument mitkommen. Erneut erkundigte er sich nach meinem Namen und hüpfte lachend, Bocksprüngen gleich, davon: Sie treiben Scherz mit mir junger Herr Freudensprung!
1864, Saint Remy de Provence
MORBIDES SEXBREZEL UND POLSTERMARKENZEICHEN
Sitze neunzehn Jahre später in der Eisenbahn und ziele das südöstlichste Graubünden an. Aus der Brusttasche meines alten Kittels fische ich die zerknitterte und schon etwas verwischte Zeichnung des studierten Herrn BRUNN. An seinen Vornamen erinnere ich mich nicht mehr, jedoch an seine klaren braunen Augen . . .
→ Spieluhrgedanke: Silenos laufend tanzt
